Montag, 1. November 2004
Swingplayer: Blog und Publizität

Beiläufige Gedanken am Beispiel Andrew Sullivan

"I am sitting here crying after reading your endorsement of Kerry. I have been a faithful reader for a long time. No longer will I have you on my 'Favorites.' I am a 65 year old white, straight female with 4 children, 14 grandchildren and 2 great grandchildren. I have told so many of them about you and how much I admired you. That changes now.....I don't have the eloquence or the skill with words that you do and I am so sorry that I can no longer respect your opinion."

Dieses Mail zitierte Sullivan vor wenigen Tagen als "E-Mail of the Day". Was Sullivan damit sicher nicht beabsichtigte: Er brachte die Problematik seines Blogs, des Bloggens im Allgemeinen (?), auf den Punkt.

Wenn ich Sullivan an anderer Stelle mal mit Karl Kraus verglichen habe (was mir ja nicht nur Freunde eingebracht hat), dann stimmt vielleicht zumindest eine Grundlage des Vergleiches. Kraus und Sullivan wollten selbst ein Medium machen, das nicht mehr abhängig war von verlegerischen Rücksichten u.ä.. Sie wollten ein Medium machen, welches ihre Ansichten direkt auf den Punkt brachte, wo es eine so direkte als nur mögliche Koppelung zwischen Autor und Audience gab.

Kraus hätte das Weblog geliebt, er wäre aber auch an diesem gescheitert. Warum? Wie das Beispiel Sullivan zeigt, ist die Dauerposition auf dem medialen Feldherrenhügel problematisch. Der Mann ist, gerade ob seiner relativ starken Wirkung, irgendwie hypertroph - und damit unglaubwürdig - geworden (es gibt vielleicht zwei Rollen des öffentlichen Sprechens zu einem Namen, aber nicht zehn: Der Journalist, der Schwule, der Liberal-Konservative, der General, etc.).

Schon Kraus hat viele Zeitgenossen mit seinen ständigen Richtungswechsel irritiert. Was sich bei Kraus über den Zeitraum von 25 bis 30 Jahren hinzog, spielt sich bei Sullivan und Öffentlichkeits-wirksamer Blogs, sagen wir, innerhalb eines Jahres ab. Kraus hatte gegenüber Sullivan einen entscheidenen Vorteil beim Rollenwechsel: Die Stilmittel von Ironie und Mimikry.

Sullivan ist mit seinem Meinungsjournalismus zu einem Swingplayer geworden. Er hat eine der zentralen Eigenschaften des Webs sicher genial genutzt. Er war authentisch und brachte die Stimmung eines Tages, einer Woche, auf den Punkt. Nun besteht ein Jahr aus 364365 Tagen oder 52 Wochen. Und es hat einen guten Grund, dass man nicht jeden Tag mit seiner persönlichen Meinung in den öffentlichen Raum tritt.

Der entscheidende Moment ist die Veröffentlichung seiner eigenen Gedanken, und diese stellt bei einem Blog mit einer ansehnlichen Leserschaft eine besondere Herausforderung dar.

Wir denken jeden Tag laut nach über politische Ereignisse, aber eben nur vor einem beschränkten und oft wohl überlegt ausgewählten Kreis von Leuten. Nehmen wir den Fall Buttiglione. Vor zwei Wochen hätte ich ihn anders kommentiert als heute (und ihn schon hier zu kommentieren ist, gewagter als im Kreis von ein paar Freunden, die einen genauer kennen etc.). Ich war am Anfang sehr gegen Buttiglione, jetzt bin ich sehr für ihn. Allerdings aus unterschiedlichen Gründen [immerhin kampagnisieren gerade auch jene Politiker gegen ihn, die für einen Beitritt der Türkei zu Europa sind - wenn wir dann nicht zwei gegenteilige "private" (!) Meinungen zu einem Sachverhalt aushalten, wird es in Europa schwierig; ergo ging es nicht um Buttiglione als Person, sondern politische Exempel, etc.]. Solche Hintergründe kann man freilich jeden Tag argumentieren. Aber der öffentlichen Person tut man damit keinen Gefallen.

Was macht die Glaubwürdigkeit einer öffentlichen Person aus? Jeden Tag journalistisch authentisch zu sein? Ich glaube nicht... Sullivan ist ein brillianter Kopf, dem aber seine Brillianz gerade durch die daily exposure im Web zum Problem wird.

 
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