Dienstag, 25. März 2003
Ad "Bushs Law" von Robert Menasse

„Bushs Law“ von Robert Menasse und warum ich mir anzumaßen wagte, den Artikel als „Dreck“ zu bezeichnen.

[Kursive Passagen = Original Menasse]

[...]
Die europäische Politik ist bereits nachnational, während die USA Politik noch immer nur als nationale Interessenspolitik begreifen. Die europäische Politik ist nach den Erfahrungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Recht den Weg der Friedenspolitik gegangen, während die USA trotz ihrer Erfahrungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer noch auf militärische Eroberung und Absicherung ihrer Märkte und Ressourcen setzt.

Ich frage mich, ob Menasse sich die französische Geschichte angesehen hat. Die These stimmt ja nur für den inneren Zusammenhalt von Westeuropa – sonst schon nicht. Wie erfolgreich war die „nachnationale“ europäische Politik auf dem Balkan? Wie sieht es aus mit Frankreichs Hegemonialträumen im Nahen Osten – diese sind ja bloß deshalb nicht hegemonial, weil es Frankreich an bestimmtem militärischem Potenzial bzw. geopolitischen Einflüssen fehlt. Wer gesehen hat, wie sich Chirac bei seinem Besuch in Beirut anno 1995 feiern hat lassen bzw. sich die französischen Investitionen im Irak seit 25 Jahren ansieht, der kann nur träumen, es gebe so was wie eine „nachnationale Friedenspolitik“ – es gibt keinen einheitlichen Nenner der europäischen Außenpolitik, was ein Dilemma ist. Aber ein Dilemma sollte man nicht zu einem Pro-Argument machen, nur weil es einem gerade in den Kram passt.

Die USA mögen in der technologischen Entwicklung Vorreiter und daher in der Produktion des gesellschaftlichen Reichtums Europa quantitativ voraus sein, in der Frage der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums aber sind sie im Vergleich zu Europa abgeschlagene Nachzügler.
Der Unterschied zwischen US-Marktwirtschaft und europäischer sozialer Marktwirtschaft ist etwa so groß wie der zwischen der Keilschrift und dem Angebot der Frankfurter Buchmesse.

Ach ja, die Europäer haben nicht nur die Aufklärung nach Amerika gebracht, sie haben sie auch besser bewahrt als die Amerikaner, weil:

Die USA Nachzügler [sind] sogar ihrer eigenen konstitutiven Ideen geworden: Vom Einfluss der Religion auf die Politik bis zur Todesstrafe zeigen sich die USA heute sogar für ihre Sympathisanten als Entwicklungsland der Aufklärung. In Frankreich ist die bürgerliche Revolution gemacht, in Deutschland ist sie gedacht worden.

Und wie haben Frankreich und Deutschland eben diese Aufklärung im 20. Jahrhundert verteidigt? Gegen den Einwand der Befreiung vom Faschismus hat Menasse gleich einen Gegenweinwand.

Es zeigt sich allerdings auch, dass die Geschichte von der amerikanischen Befreiung vom europäischen Faschismus immer schon nur die halbe Wahrheit war: Die USA ließen den Franco- und den Salazar-Faschismus in Europa ebenso intakt, wie sie hochrangige Nazis schützten, soweit sie ihnen im Kalten Krieg nützlich waren. Im Grunde werden Europa und USA heute durch ihre gemeinsame Geschichte getrennt: Europa, soweit wir lernen und lernen wollen, uns mit dem Kontinent zu identifizieren, hat aus der halben Wahrheit versucht, eine ganze zu machen. Die USA aber haben versucht, aus der halben Wahrheit eine ganze Legitimation für ihre Hegemoniebestrebungen zu zimmern.
[....]
In den USA werden Sheriffs gewählt. Genau dies aber gestehen die USA der Welt, die sie demokratisieren wollen, nicht zu: Selbst ernannt legitimieren sie sich als Weltpolizei.

Das ist selbstgefällig – und ein Schrott, weil in Amerika mehr regiert, als nur ein Sheriff. Ein Blick in die amerikanischen Verfassung hätte Herrn Menasse sicher machen können.

Warum wird nicht Europa zum Weltpolizist, der die Aufklärung verteidigt? Menasses Theorie ist zwar nett heglianisch. Sie baut auf die reine Durchsetzung von Ideen; sie lässt die positiven Seiten einer Machttheorie (hier hätte Menasse von Charim und ihrer Foucault-Lektüre profitieren können) vollkommen vergessen; sie blendet hinter der französischen Revolution den terreur aus – sie ist einfach grundpolemisch und sie ist an vielen Punkten historisch vollkommen blind. Hier wird nichts anderes gemacht, als beredt ein Feindbild aufzubauen. Dieser Artikel ist eine einzige intellektuelle Bankrott-Erklärung. Die Gleichsetzung von Bush mit Amerika ist ungefähr so, als würden wir Österreich in toto von den Herrn Schüssel und Haupt repräsentiert sehen. Menasses Artikel ist kaschierter Antiamerikanismus. Ich glaube ja nicht, dass Menasse antiamerikanisch denkt – es ist nur im Augenblick so opportun, sich an eine Stimmungslage anzupassen.

Die einen verschleiern halt ihr Ressentiment postmodern (Charim), die anderen postheglianisch. Am Ende bleibt es ein: Ressentiment.

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