Mittwoch, 30. Juli 2003
Pamphlet – "Fackel" – Blog
betablogger
14:33h
oder: Die Rückkehr des Autors im Internet Es gibt Leichenreden, die dauern offenbar besonders lange. Eine davon ist die vom Tod des Autors, die in der Literaturwissenschaft über Jahrzehnte hinweg immer wieder aufs Neue zelebriert wurde (oftmals auch nur aus dem Grund, da Autoren wie Barthes und Co. mit einiger Zeitverzögerung im deutschsprachigen Raum ankamen). Ende der 90er Jahre sollte sich aber dann doch herausstellen, dass Todgesagte länger leben. Während sich Philologen allmählich mit dem Fortwirken des Prinzips Autorschaft zu versöhnen begannen, beschworen "Medientheoretiker" im Zuge der Entdeckung des World-Wide-Web einen globalen Text, in den sie all ihre theoretischen Träume hineinwuchteten: Der Hypertext sollte die große Koppelungsinstanz zwischen allen im Web zirkulierenden Texten sein. "Wichtig werden Erfahrungen von Präsenz und Beschleunigung im Umgang mit den chaotischen Gestalten der Hyperlinks. Der netuser bekommt eine neue, weithin antihermeneutische und rhetorisch geprägte Einstellung zu den Textoberflächen als Manipulationsflächen für Hypertextoperationen sowie zur Textmaterialität als beliebig transformierbarer Virtualität. Hypertexte erscheinen immer wie Ausschnitte aus einem Kontinuum. Sie haben keinen Anfang und kein Ende im traditionellen Sinne", umreißt etwa Siegfried J. Schmidt einen beinahe futuristisch anmutenden Traum einer "Medienepistemologie" (so sein eigener Anspruch) der Neuen Medien. (Vgl. dazu: science.orf.at: Das Alte in den Neuen Medien) In Summe aller Anwendungen und von der Höhe der Abstraktion auf den Medienalltag hinuntergeblickt mag ja das Internet ein solch globaler Hypertext sein – mit Suchmaschinen vielleicht als semantisches Scharnier zwischen den (Anwender-)Kulturen. Doch auch im Internet blüht in den vergangenen Jahren, was so oft begraben wurde: das Phänomen Autorschaft. Eben dort, wo ein Übermaß an Texten, an Kommunikation zirkuliert, sind Aufmerksamkeitsfilter um so entscheidender, mit denen sich die Überfülle an Redundanz des Web bewältigen lässt. Gerade in den letzten Jahren konnte beobachtet werden, wie sich Öffentlichkeit(en) in einem neuen Medium bilden und welche Faktoren hier wirksam sind. Auffällig ist, dass das Entstehen von Öffentlichkeit im Internet in den letzten zwei bis drei Jahren ganz stark mit dem System von Autorschaft verbunden ist - freilich mit einer Form von Autorschaft, die weniger an reale Personen gebunden werden muss, als man das aus anderen Diskurs- und Medienzusammenhängen gewohnt ist. „Autor“, das ist im Web oft nicht mehr als eine bestimmte Trademark, die Texte im Netz unter ihrem Namen versammelt. Oft ist es eine virtuelle persona, die bestimmte Texte an sich bindet, manchmal ist es aber auch ein klar definierter, realer Autor. Die erfolgreiche Verbreitung von Weblogs (verbunden mit einer Distribution von Software, die jeden Laien zum Medienmacher im Internet prädestiniert) mag zu Beginn des 21. Jahrhunderts einen Strukturwandel von Medienöffentlichkeit anzeigen, in dem das Prinzip von Autorschaft entscheidenden Anteil bei der Bildung von Publizität hat. Gezeigt werden kann, wie sehr heutige Formen des Diskurses in den so genannten ‚Neuen Medien’ anknüpfen an Diskursmuster, die sich im 18. Jahrhundert gebildet haben. Damals wie heute musste ein bestimmter öffentlicher Raum erst erschlossen werden, musste man dezidiert gegen andere mediale Diskurse Position beziehen. In anderen Worten: Die Stellung des Weblogs in der heutigen Medienöffentlichkeit ist mit dem Pamphlet des 18. Jahrhunderts durchaus zu vergleichen. Beide Diskursformen mussten sich ihre Durchschlagskraft erst gegen ein etabliertes politisches wie intellektuelles Feld erkämpfen. Dabei zeigt sich: Wo Pamphlet und Blog größere Foren an Öffentlichkeit erzeugten, hatte der Diskurs eine stark ethische Schlagseite. Blickt man von den Weblogs historisch zurück, so schließen sie, bei aller Innovation an bestimmte Vorbilder an. Neben der Pamphlet-Kultur des 18. Jahrhunderts wären in diesem Zusammenhang Projekte wie die „Fackel“ von Karl Kraus zu nennen. Denn auch hier schrieb ein Autor mit einem Konglomerat an Texten gegen einen etablierten Mediendiskurs an und schuf damit eine neue Teil-Öffentlichkeit im Wiener Fin de siècle. Überspitzt könnte man sagen: Würde Karl Kraus heute leben, würde er wahrscheinlich keine Zeitschrift im Print-Format herausgeben, sondern ein Weblog betreiben. Related: beta: Blogger des 18. Jahrhunderts ...und das Forum zur Story ... Link |
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