Donnerstag, 4. März 2004
Schirrmacher, Guido W. und das Haus Deutschland

Das spricht mir aus der Seele

>>In Guido Westerwelles Berliner Stadtwohnung also wollten Angela Merkel und Edmund Stoiber den neuen Bundespräsidenten küren. Hier saßen sie und beratschlagten bis spät in die Nacht. Bei einem "Geheimtreffen".
[...]
Wer am Dienstag glaubte, instinkt- und würdeloser könne die Wahl eines Kandidaten für das höchste Staatsamt nicht werden, der sah sich in der Nacht zum Mittwoch eines Besseren belehrt, nicht von der Geschichte, sondern von den unkontrollierten Mienen zweier Politiker, die der FDP-Vorsitzende Westerwelle zu Untermietern seines Ehrgeizes gemacht hat.

Das Pärchen kam aus dem Altbau, als sei den beiden gerade die Wohnung gekündigt worden, droben aber schaltete und waltete der tüchtige, für die Kameras unsichtbare Hausmann.

Die Vorstellung, daß in der Berliner Wohnung des Guido Westerwelle das nächste Staatsoberhaupt quasi be-, wenn nicht ernannt worden wäre und das alles noch unter dem Rubrum der "Geheimdiplomatie", das ist so niederschmetternd, daß man am liebsten, wenn es denn ginge, gleich aus dem gemeinsamen Haus Deutschland ausziehen würde.

Saß die Gesellschaft um den Ikea-Küchentisch, als sie um das Amt feilschte, oder auf dem roten Sofa, auf dem der Politiker "gerne entspannt", oder gar auf Corbusier-Ledersesseln, zwischen denen ein Eileen-Grey-Tisch steht? Wir waren ja gewissermaßen alle schon mal bei Westerwelle zu Haus. Vor zwei Jahren etwa öffnete er der "Bunten" die Tür, die unter der Überschrift "Hier wohnt der Kanzlermacher" das Interieur der Macht und sogar viele Details seines Seelenhaushalts beschrieb: "Sind Sie oft allein? Ich hasse es, allein und einsam zu sein. Das kenne ich einfach nicht. In unserer Wohnung stand immer ein großer Tisch, es war ein offenes Haus, in dem immer Gäste waren. Wie die Villa Kunterbunt von Pippi Langstrumpf." Daß Merkel und Stoiber, damit Westerwelle sich nicht mehr so allein fühlt, in der Villa Kunterbunt des Präsidentenmachers sich trafen, das ist eine verknappte, aber keine unzutreffende Beschreibung.
[...]
Denn ehe man von der Würde des abstrakten Amtes redet, könnte man auch von der schlichten Menschenwürde reden. Etwa derjenigen von Wolfgang Schäuble. Was mit diesem Mann in den letzten Jahren geschehen ist, taugt zum Stoff für eine Tragödie - was natürlich nichts über seine Befähigung zum Präsidenten sagt. Doch daß über ihn zuletzt auf Westerwelles Couch entschieden wurde, mag er als letzte Demütigung empfinden. Gedemütigt durch dieses Schauspiel aber wurde auch die Öffentlichkeit. Mag sein, daß Guido Westerwelle nicht gerne allein ist und es haßt, einsam zu sein. Aber er sollte aufhören, ein ganzes Land zu zwingen, ihm bei dieser furchtbaren Einsamkeit Gesellschaft zu leisten.<<

Frank Schirrmacher, "Geheim", in: F.A.Z., 4.3.2004.

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