Freitag, 29. Oktober 2004
Anerkennung für Buttiglione

Ich teile die gesellschaftlichen Ansichten von Rocco Buttiglione nicht. Allerdings muss man anerkennen, dass der Mann insoferne Standfestigkeit zeigt und dem politischen Gegenwind mit mehr Haltung begegnet, als der Mann, der ihn mit einigen Hintergedanken nach Europa geschickt hat: Silvio B.

Wenn Europa ein aufgeklärtes ist, dann muss es wohl in einem Raum zwei konträre Meinungnen aushalten, gerade dann, wenn jemand erklärt, dass seine "private" Haltung nichts mit seinem "politischen Handeln" zu tun hat. Es ist ja mittlerweile eine Binsenweisheit, dass Buttiglione einfach ein guter Anlass-Fall für das EU-Parlament war, seine Macht zu zeigen. Auch das ist gut, und kann Europa nur nützen.

Julian Nida-Rümelin hat in der "Süddeutschen" den Fall Buttiglione für meinen Geschmack jedenfalls sehr treffend auf den Punkt gebracht.

Selbstgerechte Entrüstung. Der Fall Rocco Buttiglione
Von Julian Nida-Rümelin
[SZ, 28.10.2004, S.13]

>>Der Fall Buttiglione reicht tiefer, als die aktuelle politische Auseinandersetzung in den europäischen Institutionen nahelegt, und seine Bedeutung ist ganz unabhängig davon, welche Lösung die EU schließlich, nachdem jetzt die Abstimmung verschoben wurde, finden wird. Buttiglione ist ein intelligenter Mann. Er hat Prinzipien und versteckt sie nicht. Er steht für eine konsequent katholische Politik und Philosophie.

Nach dem Untergang der Democrazia Cristiana blieb vom politischen Katholizismus in Italien, einem durch und durch katholischen Land, nicht viel übrig. Die Partei Buttigliones, die PPI, ist der größte und schärfste Splitter im Scherbenhaufen, den Jahrzehnte der Korruption im politischen Katholizismus Italiens angerichtet hatten. Nun war die Katholizität Italiens schon immer ambivalent. In den siebziger Jahren entschied sich die Mehrheit der Italiener für eines der liberalsten Ehescheidungsgesetze, gegen den massiven Widerstand des politischen Katholizismus, ja sogar angesichts einer ängstlichen Neutralität der PCI, die sich damals noch kommunistisch nannte, aber längst sozialdemokratisch geworden war.

Unterdessen bindet Berlusconi einen wesentlichen Teil der früheren Wählerschaft der Christdemokraten an die Forza Italia, was angesichts der langjährigen engen Verbindung Silvio Berlusconis und Bettino Craxis, des früheren dezidiert laizistischen Parteiführers der italienischen Sozialisten, überraschen mag.

Es sind vor allem zwei Äußerungen, die Rocco Buttiglione vorgehalten werden: Homosexualität sei eine Sünde, ist die eine. Und die andere ist: Die Ehe habe den Sinn, es Frauen zu ermöglichen, Kinder zu bekommen, und der Mann habe die Aufgabe, seiner Frau den dazu notwendigen Schutz zu gewähren.

Es kann kein Zweifel bestehen, dass diese Überzeugungen zur Homosexualität und Familie im Einklang mit der offiziellen Position der katholischen Kirche stehen. Buttiglione wägt als "Berater des Papstes", wie er gelegentlich bezeichnet wird, seine Worte wohl. Er wiederholt - vielleicht weniger verklausuliert, als dies andere Vertreter des politischen Katholizismus in der Regel tun - was in zahlreichen Denkschriften und Enzykliken der katholischen Kirche und in den Reden des Papstes nachzulesen ist.

Wie kann es also sein, dass Überzeugungen, die von jener geistlichen Autorität vertreten werden, der sich die meisten gläubigen Europäer verbunden fühlen, in der politischen Arena als skandalös gelten? Der Fall Buttiglione beleuchtet einen Konflikt, der im islamischen Kulturkreis offen ausgetragen wird, während er in unserem meist verborgen bleibt, weil das - nach den Zeiten der europäischen Aufklärung - inzwischen erreichte delikate Gleichgewicht zweier normativer Ordnungen, das der säkularen politischen Sphäre und das der klerikalen spirituellen, meist sorgsam gewahrt wird.

Heikle Schnittstellen

Die Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedsstaaten - ersichtlich etwa im Verfassungsentwurf der EU, aber auch im Maastricht-Vertrag - steht in der Tradition des politischen Liberalismus: Unveräußerliche Menschen- und Bürgerrechte, ergänzt um die normative Konstruktion demokratischer Institutionen. Die Verfolgung von Staatszielen ist nur in den Grenzen zulässig, in denen sie nicht mit unveräußerlichen Menschen- und Bürgerrechten kollidiert. Gerechtigkeit wird im Rahmen dieser Rechtsordnung im wesentlichen verstanden als gleiche Würde und gleicher Respekt, was das Gebot der Gleichbehandlung vor den politischen und den Rechtsinstitutionen einschließt.

Eine Anthropologie fundamentaler Differenzen ist mit dieser normativen Ordnung des politischen Liberalismus schwer in Einklang zu bringen. Der politische Liberalismus lebt von der Fiktion, Traditionen, wie außerpolitische Gemeinschaftsbildungen, Lebensformen und Geschlechterrollen, religiöse und weltanschauliche Prägungen, Ethnie und Region seien für den Bürgerstatus irrelevant.

Die liberale Rechts- und Politikordnung verlangt jedenfalls ein hohes Maß an Kompatibilität mit partikularen normativen Ordnungen, mit kulturellen Identitäten und Lebensformen. Der Fall Buttiglione zeigt die Friktionen, die an den Schnittstellen auftreten, also dort, wo sich die universalistisch verstandene liberale Demokratie und ihre normativen Prinzipien mit partikularen normativen Ordnungen berühren.

Buttiglione ist für solche Friktionen ebenso ein Beispiel wie der jüngste Fall des Togoers, dessen zweite legitime Ehefrau (legitim nach der Rechtsordnung Togos) ihren Status nach Einbürgerung ihres Ehemannes verlieren würde. Die Lebensform der Bigamie ist in den westlichen Verfassungsordnungen nicht vorgesehen. Und hier zeigt sich, dass auch diese Verfassungen von partikularen, also an spezifische Lebensformen und Traditionen geprägten Gehalten nicht frei sind. Eine Zweitehe, die mit Zustimmung, ja möglicherweise mit Beförderung der ersten Ehefrau eingegangen wird, verletzt keine universellen Menschenrechte. Sie ist mit der Würde der betroffenen drei Personen dann vereinbar, wenn die sozialen und kulturellen Bedingungen dafür vorliegen.

Traditionelle Geschlechterrollen

Der Togoer hat versucht, die Friktionen dadurch abzuschwächen, dass er anbot, sich von der ersten Ehefrau nach Landesrecht scheiden und diese Scheidung in Deutschland anerkennen zu lassen, Buttiglione, indem er bekräftigte, dass die Sündhaftigkeit praktizierter Homosexualität die Rechtsnormen nicht berühre. Beides sind durchsichtige Umgehungsstrategien eines Konfliktes, der in seiner Tiefendimension verstanden werden muss, wenn die liberale Rechts- und Staatsordnung den Herausforderungen der multikulturellen Gesellschaften der Zukunft gewachsen sein will.

Aus dem Konflikt zwischen normativen Ordnungen folgt für die liberale Demokratie vor allem eines: ihr Universalitätsanspruch muss beschränkt bleiben auf ethische Fundamentalnormen, die mit einem breiten Spektrum anthropologischer, religiöser und weltanschaulicher Annahmen vereinbar sind. Um das obige Beispiel in provokativer Absicht aufzugreifen: Die Monogamie gehört nicht zu diesen Universalien.

Man kann für oder wider die Erlaubnis von islamisch motivierten Kopftüchern an öffentlichen Schulen sein, aber man kann Kopftücher nicht verbieten und dann unter Verweis auf die christliche Prägung unserer Kultur Nonnen in ihrer christlich motivierten Kleidung an öffentlichen Schulen unterrichten lassen. Die liberale Rechts- und Staatsordnung steht und fällt mit ihrer Neutralität gegenüber unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen. Zugleich verliert sie dort ihre Neutralität, wo ihre fundamentalen Normen mit weltanschaulich oder religiösen Normen kollidieren, wie etwa mit der katholischen Schulmeinung zu Ehe und Homosexualität.

Zur Ehrlichkeit gehört dann allerdings auch, anzuerkennen, dass das Familienrecht der EU-Mitgliedsstaaten ein Element der inkriminierten Äußerungen Buttigliones in hohem Maße de facto berücksichtigt - nämlich Frauen zu ermöglichen, Kinder zu bekommen, und Männer zu verpflichten, die dazu notwendige ökonomische Sicherung zu gewähren. Das deutsche Familienrecht ist zweifellos, auch wenn es Ende der siebziger Jahre grundlegend reformiert worden ist, dem Modell der traditionellen Aufgabenteilung verpflichtet. Dort, wo es in der sozialen Realität zu Umkehrungen kommt, wo also minder verdienende Männer gegenüber ihren geschiedenen Ex-Ehefrauen über viele Jahre hinweg Unterhaltszahlungen erstreiten, findet dies in der Regel keine soziale Akzeptanz.

Hohe Akzeptanz hingegen findet der traditionelle Normalfall der Geschlechterrollen trotz all der kulturellen und sozialen Veränderungen der vergangenen Jahrzehnte nach wie vor. Hinter dem deklamatorischen Pathos der liberalen Demokratie mit ihrer Betonung individueller Freiheiten- und Minderheitenrechte wird die soziale Realität der Abhängigkeiten und Bindungen kenntlich. Der Fall Buttiglione eignet sich nicht für selbstgerechte Entrüstung aus dem Geist der europäischen Aufklärung.<<

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