Sonntag, 20. August 2006
Sehr intim mit Robbie

Robbie Williams in Wien

Gene Simons von "Kiss" soll ja einmal gemeint haben, 200 Millionen Amerikaner seien nicht an Subtilitäten interessiert - "sie wollen eines mit dem Holzhammer über den Kopf gezogen bekommen." Von Robbie Williams wissen wir zumindest aus einem bekannten Song: "Early in the morning when I wake up / I look like Kiss but without the make up." Man könnte meinen, Robbie hätte das Kiss-Motto (mit Ausnahm der USA) globalisiert. Doch das Wien-Konzert am Freitag musste einen selbst, der das Ganze gerne für einen Musikantelstadel für unter 50-Jährige ansehen wollte, auch Lügen strafen. Natürlich war es auch dieser Musikantenstadel. Und wenn erwachsene Männer um 23.00 Uhr aus dem Stadion laufen und "Danke, Robbie" in die Nacht brüllen, mag man das auf übermäßigen Bierkonsum zurückführen. Dennoch ist in den zwei Stunden davor etwas passiert, das durchaus bemerkenswert ist.

Da tritt um 21.00 Uhr ein wirklich schlecht dispositionierter Pop-Star auf die Bühne, der erste Song geht gelinde gesagt, eher in die Hose, die großen LCD-Wände zeigen alles schonungslos bis zur letzten Pore.

Auch wenn man dem Publikum bei 70 Euro Eintritt eine beinahe krampfhaft positive Einstellung dem Ganzen gegenüber unterstellen muss, und Robbie natürlich sein Held war, so ist es erstaunlich, wie jemand den Abend - bei allen Zoten rund um "would your give me a blow job", "needle in the ass", Matarazzi-Kopfstößen etc. - so rumreißt, dass allen irgendwie das Wasser am unteren Augenlid bricht - und am meisten natürlich dem Performer selbst.

Das Phänomen Williams liegt wohl in dem Moment, dass sich jemand, gerade an dem Punkt, wo er die meisten Kameras um sich weiß und sich der Nichtweitersteigerbarkeit des Narzistischen gewiss ist, derart zu sich findet, dass alles nur noch wie eine einzige innere Revelation rüber kommt: an Verstellung mag man überhaupt nicht mehr denken, alles bricht einem quasi direkt entgegen. Gesteigert - oder vielleicht produziert - wird das Ganze durch diese riesigen, hintergrundbeleuchtetend LCD-Schirme mit ihren HDTV-Bildern, wo jede Lachfalte, jeder Wimpernschlag auf 50 Meter sichtbar ist. Diese neuen "gotischen Fenster" sind irgendwie das Ereignis des Konzerts.

Das Bemerkenswerste des Abends mit Williams und den 50.000 Menschen war nun nicht nur die enorme Dominanz des Ikonischen über das Musikalische (wobei man letzteres ob der dargebotenen Qualität dieser großartigen Soundmaschine im Hintergrund gar nicht genug loben kann): Erzeugt wurde mit Robbie in HDTV auf Riesen-LCD ein quasi intimer Raum zwischen dem Performer und dem einzelnen Zuseher: Man durfte sich in der Illusion eines Klubkonzerts nur für sich allein wähnen. Alles, die Stärken und Schwächen kamen in einer Direktheit und Unvermitteltheit rüber, die jeden zum Empathiker mutieren ließ. Bei Bono und U2 hätte einen dieses Phänomen abgeschreckt und uns permanent an den Faschismus denken lassen. Nicht so bei Williams. Robbie, our buddy, er war immer da, und obwohl er doch so anders ist, haben wir ihn alle verstanden. Ist das also der Holzhammer, und gibt es da doch ein paar Subtilitäten, die es zu beachten gäbe?

P.S.
Auch wenn man beim Wien-Konzert sicherheitshalber zur Steigerung des Konzerts auf die alten Guy-Chambers-Hits gesetzt hatte, so muss doch allen eingefleischten Robbie-Fans gesagt sein. Die Verachtung des letzten Albums und dem Song-Writing durch Stephen Duffy muss hier ein schweres Argument entgegengesetzt werden: Mit Abstrichen ist "Intensive Care" das bisher Beste, was wir von R.W. geboten bekommen haben - es sind halt nicht mehr die klassischen Stadion-Hymnen der Marke "Angels", "Feel" oder "Strong". Die dem Album zugrundegelegte Pop-History sollte auch alle zum genaueren Hinhören animieren, die unterhalb von Morrissey nicht in den Orkus des Populären hinabsteigen würden...

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