Montag, 16. Dezember 2002
Die Liebe zum Luxus

oder: der Kult um den Genuss

Früher gab es für mich eine Geliebte - man kann sie wirklich so bezeichnen, denn wir waren verliebt und immer eine Spur unglücklich. Alleine sie zu sehen, war Luxus. Zumindest empfand ich es so, da es eigentlich nicht erlaubt war, sie zu treffen. Deshalb sahen wir uns immer ganz geheim. In ihrer Wohnung, einer Einsiedlerklause hoch über den Dächern, mitten in Wien. Von ihrem Wohnschlafzimmer sah man direkt hinein, in die Laterne der Peterskirche. Im Winter war man spätestens ab fünf Uhr in eine harmonia coelestis entrückt. Nicht wegen der Liebe. Oder: nicht nur. Aber man blickte immer, wenn man nach draußen schaute, in diese hell erleuchtete Kuppel.

Oft sagten wir fast nichts, tranken nur Tee. An diesen Winterabendenden wurde mir das erste Mal bewusst, was Luxus war. Man konnte der Welt entfliehen und im verborgenen genießen. Alle Gegenstände dieser Wohnung, alle Gerüche, alles was ich aß und was ich trank, war Luxus.


Die Perversion der Perversion: "Jahrgangsschokolade Gran Couva 2002"

Seit der Zeit, da ich aus dem Paradies dieser Geliebten verstoßen war, änderte sich auch die Bedeutung von Luxus. Ich bemerkte, dass es Luxus auch an anderen Orten unter anderen Umständen gab. Zumindest eine Art von Luxus, die nicht immer an das Erleben mit einer Person gebunden war.

Luxus war seit dem auch eine Art Enttäuschung. Ich fand die Gegenstände aus dem heiligen Raum in einer alltäglichen Umwelt wieder.

Gegenwärtig bin ich verstört, von Web-Seiten, die Attribute von Luxus von einem Produkt auf das nächste übertragen, irritiert von dieser Schokolade in der Bordeaux-Kiste Wir finden es nicht einmal unerträglich, dass wir uns selbst verhöhnen und auch bei Schokoladen-Tafeln darauf achten, dass die Kakao-Bohnen von einer Plantage, von einer Hanglage, einem Jahrgang kommen. Am besten noch von den Händen nur eines Plantagen-Negers gepflückt, damit nicht zu viele unterschiedliche Hände das Aroma verfälschen.

Noch können wir sie nicht trinken, die Jahrgangsmilch zur Schokolade, aber es wird sicher eine Jahrgangskuh geben, die für ein halbes Jahr besten Göttertrunk als Ergänzung zur Jahrgangsschokolade spendet.

Ich ergraue bei der Vorstellung, dass Luxus nichts ist, was man im Geheimen suchen muss, sondern dass er einen in ständig neuen Ausformungen heimsucht - ja verfolgt.

 
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