Dienstag, 21. Januar 2003
Vernetzt, verschrieben

Nicht, dass wir es nicht schon immer gewusst hätten, dass wir unter der Rubrik "Kulturwissenschaften" nichts Gutes zu erwarten haben, so liefert eine der deutschen Frontfrauen dieses Modemetiers dieser Tage wieder einmal den Beweis, wie träge die institutionelle Wissenschaft auf die immer wieder herbeigeschriebenen Medienschwellen (die modische Fortsetzung der Koselleckschen "Sattelzeit") reagiert.

Druckerpresse und Internet, unter diesem Titel aktualisiert bzw. erweitert Aleida Assmann ihr bisheriges kultur- bzw. medienhistorisches Programm. Buchstabierte man bisher (nicht immer ausgewiesen) unter Zuhilfenahme von McLuhan der neuzeitlichen Medienrevolution rund um den Buchdruck hinterher, später dem iconic turn, danach der Ökonomie der Aufmerksamkeit und nun eben: dem Internet.

"Die Utopien des digitalen Mediums sind nicht nur vorwärts gerichtet und betonen ganz neue Artikulationsmöglichkeiten in fugenloser Verbindung von Schrift, Bild und Klang [!] (Hervorheb. beta), sie sind auch rückwärts gerichtet und versprechen die Wiederherstellung von etwas längst Vergangenem und Verlorenem", liest man da.

These und Conclusio des Aufsatzes erhält man endlich nach vier Seiten ermüdender Lektüre (der klassische historische Parforce-Ritt durch die Neuzeit): Die Utopie des Buchdruckes sei auf die Überwindung der Zeit gerichtet (argumentiert mit Hintergrund, dass der Buchdruck mit dem Humanismus zusammenfiel, der die Aktualisierung der antiken Schriften im neuentdeckten Buchdruck zelebrierte), die digitalen Medien richteten hingegen ihre Utopie auf die Überwindung des Raumes:

"Die Utopie des Druckzeitalters entwarf eine virtuelle Zeit, in der Kommunikation über Epochen hinweg möglich wird, die Utopie des elektronischen Zeitalters entwirft einen virtuellen Raum, in dem Kommunikation über größte Distanzen hinweg möglich wird. Bezeichnenderweise erheben sowohl die 'Zeitutopie' des Buchdrucks wie die 'Raumutopie' des Internets einen Anspruch auf Interaktivität, beide reaktivieren vorgängige Modelle unvermittelter Mündlichkeit, um die Errungenschaften des jeweils neuen Mediums ins Licht zu rücken."

Montaigne, um nur ein Beispiel zu nennen, der im Jahrhundert nach der Erfindung des Buchdruckes seine "Essais" geschrieben hat, meinte viel, als er sein "Je parle au papier" prägte. Mit Oralität hat das freilich so wenig zu tun, wie die Drucklegung humanistischer Schriften. Und, vor allem: Was für eine mediale Sattelzeit stimmt (Oralitätsmuster beim Schrifteinsatz im Web), muss noch lange nicht für eine andere gelten. Abgesehen von dem Umstand, dass es mir absolut uneinsichtig ist, welche Erkenntnis gewonnen sein soll, wenn man dem Buchdruck eine zeitliche und dem Internet eine räumliche Utopie unterstellt. Denn mehr als eine theoretische Unterstellung ist das halt nicht...

In diesem Sinn: Wenn schon Assmann, dann S. Assmann statt A. Assmann...

 
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