Bloggen, Debatte in Buenos Aires

Debatten über die Zukunft des Journalismus und die Rolle von Weblogs in Buenos Aires

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"Bloggen" im 18. Jahrhundert

[Fortsetzung von Pamphlet - "Fackel" - Blog]
Die Debatte um die Rolle von Weblogs in der heutigen Medienöffentlichkeit zeigt auffallend viele Übereinstimmung mit der Kultur der Pamphletisten im 18. Jahrhundert. Weblogs und Pamphlete, beide mussten ihre Durchschlagskraft erst gegen ein etabliertes politisches und intellektuelles Feld erzwingen. Dabei zeigt fällt auf: Wo Pamphlet und Blog größere Foren an Öffentlichkeit erzeugen, weist der Diskurs eine deutlich ethische Schlagseite auf. Das Zu-Tage-Bringen von Tabu-Themen war und ist dabei Zeichen eines solchen neuen medialen 'Eroberungs'-Diskurses.

Die Erschließung neuer Öffentlichkeitsforen, als Eroberungsvorgänge gegen ein publizistisches Establishment, wurden für das vorrevolutionäre Frankreich eindrücklich von Robert Darnton mit den Büchern "Literaten im Untergrund. Lesen und Schreiben im vorrevolutionären Frankreich" (im Original 1982) bzw. "Poesie und Polizei. Öffentliche Meinung und Kommunikationsnetzwerke im Paris des 18. Jahrhunderts" (im Original 2000) beschrieben . Für Amerika unterstrich Bernard Bailyn in seinem Buch "The Ideological Origins of the American Revolution" (1967) die Rolle der Pamphlet-Kultur in der Durchsetzung republikanischer Ideen. "Die wichtigsten und charakteristischsten Schriften der Amerikanischen Revolution entstanden in Form von Pamphleten", schreibt Bailyn: "Für die Revolutionsgeneration [...] hatte das Pamphlet vor allem ganz entschiedene Vorteile als Kommunikationsmedium. Damals, wie heute, erlaubte das Pamphlet einem, Dinge zu machen, die in jeder anderen Form so nicht möglich waren."

Blickt man auf die im First Amendment der US-Verfassung festgelegten Rechte der Redefreiheit, so wird man heute darin nur schwer ein Plädoyer für einen auf Wahrheit und den Grundsätzen der Objektivität verpflichteten Journalismus finden können. Es geht um "Freedom of Speech" in der basalsten Form oder, wie es im Artikel 11 der "Declaration des Droits de l'Homme et du Citoyen" vom Juni 1789 heißt: "Die freie Mitteilung der Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Rechte des Menschen. Jeder kann mithin frei sprechen, schreiben, drucken, mit Vorbehalt der Verantwortlichkeit für den Missbrauch dieser Freiheit in den durch Gesetz bestimmten Fällen."

Es war das Recht auf freie, ungebremste Meinungsäußerung, das etwa Arthur Young, einen englischen Augenzeugen der Französischen Revolution, so in Erstaunen versetzte. Die Erfahrung mit zahllosen in Paris erscheinenden Pamphleten und Broschüren ließen Young eher vermuten, der Artikel 11 der Menschen- und Bürgerrechtserklärung sei in erster Linie ein Freibrief für die Verbreitung aufrührerischer Ideen, Verleumdungen und falscher Nachrichten. Zu einem ähnlichen Befund könnte Young, würde er heute leben, mit einem Blick auf das Internet kommen.

Die Sichtung von Polizeiarchiven und Zensurakten machten auch den amerikanischen Historiker Robert Darnton sicher, dass für das vorrevolutionäre Frankreich durchaus der Begriff einer Informationsgesellschaft angemessen erscheint. In seinen Studien zum französischsprachigen Buchmarkt des 18. Jahrhunderts konnte Darnton ein vielfältiges Netz an publizistischen Kommunikationswegen und Distributionsmechanismen abseits der staatlichen Kontrolle aufdecken. Manches, so Darnton, was in Paris in den letzten Jahrzehnten des Ancien Regimes zirkultierte, "verrät den verfeinerten Höfling, manches trägt den Stempel des bloßen Gerüchts, und manches wurde in den Gasthäusern geschmettert oder bei der Arbeit weitergetratscht. Doch letztlich lief alles Zusammen. Die Übertragungslinien kreuzten und gabelten sich oder breiteten sich fächerförmig aus, und sie verknüpften sich in einem Kommunikationssystem, das derart dich war, dass ganz Paris von Neuigkeiten über die öffentlichen Affären widerhallte. Schon lange bevor das Internet existierte, existierte die Informationsgesellschaft."

Die Philosophen der Zeit dachten noch an eine Steuerungsmöglichkeit der öffentlichen Meinung. Condorcet etwa zeigte sich sicher, dass öffentliche Meinung und Vernunft an einem Scharnier zusammenhingen.

"Es hat sich eine öffentliche Meinung herausgebildet, die schon durch die Zahl derer, die ihr anhängen, mächtig ist. Sie ist energisch, weil die sie bestimmenden Motive auf alle Geister gleichzeitig wirken, selbst über weite Entfernungen hinweg. Man wurde also Zeuge dessen, wie sich zugunsten der Vernunft und der Gerechtigkeit ein unabhängiges, mit aller menschenmöglichen Macht ausgestattetes Tribunal entwickelt hat", schreibt Condorcet in der posthum veröffentlichten "Equisse d'un tableau historique des progrès de l'espirt humain" (1794).

War für Condorcet öffentliche Meinung etwas, was ohne die vernunftmäßige Stütze der Philosophen nicht auskam, so hatten publizistische Figuren des Revolutionszeitalters wie Simon-Nicolas-Henri Linguet oder Louis Sébastien Mercier einen präziseren Blick dafür, warum die öffentliche Meinung nicht mehr in der Hand einer Eliten liegen konnte.

Linguet bestreitet die Legitimität einer autoritativ beanspruchten öffentlichen Meinung, die die Massen ausschloss, und sah sich zugleich selbst, durchaus elitär, als Sprachrohr einer sich neu formierenden quantitativen Öffentlichkeit. Von seinem Exil in London aus gab er die, nahezu komplett von ihm selbst verfassten „Annales politiques, civiles, et littéraires du dix-huitième siècle“, einer der aufrührerischsten Zeitschriften der damaligen Zeit, heraus. Linguet stemmt sich gegen den elitären Öffentlichkeitsbegriff eines Necker (der bereits 1781 ironischerweise auf die Verbindung von öffentlicher Meinung und Tyrannei verweist) und gesteht dem durchaus aufklärerisch entgegen, die Massen seien in der Lage, ihre Interessen selbst zu formulieren.

In die Niederungen der Massen dringt freilich nicht Linguet selbst ein, sondern sein Zeitgenosse Mercier. Dieser entwickelt als einer der ersten die Feinfühligkeit des Journalisten, gerade das wahrzunehmen und aufzugreifen, was direkt um ihn herum passierte. Von der Öffentlichkeit macht sich Mercier im „Tableau de Paris“ oder in den „Entretiens“ aus den Tuilerien bzw. dem Palais Royal wenige Jahre vor der Revolution keine Illusionen:

"Das Lustige an der Sache ist [...] diese Raschheit, mit der ganz Paris für die Tagesneuigkeiten Feuer fängt. Sofern sie nicht nur völlig belanglos sind und sich um öffentliche Angelegenheiten drehen, ist jeder gleich in heller Aufregung und versucht absichtlich, seine Meinung zu behaupten. [...]
Die, die am wenigsten im Bilde sind, verursachen den meisten Lärm, sie kommen in ein Café, gehen wieder, und zwischen diesen beiden Handlungen sprechen mich mir Unbekannte so an, als ob sie mit mir schon immer zu tun gehabt hätten." ("Entretiens du jardin du Tuileries de Paris")

Wer heute die Öffentlichkeit des Internet wegen ihrer Unberechenbarkeit kritisiert, der sollte mit Darnton einen Blick zurückwerfen in jene Epoche, in der sich Journalismus und das Prinzip von Öffentlichkeit etablierten. "Im Paris des 18. Jahrhunderts konstruierte sich eine Öffentlichkeit, die für das Ancien Régime eigentümlich war, und überzog seither jedes Ereignis mit ihrer Meinung", heißt es am Schluss von "Poesie und Polizei": Sie [die öffentliche Meinung] war keineswegs die von Philosophen konzipierte Abstraktion. Sie war eine Kraft, die aus den Straßen hervorquoll, die schon zu Zeiten der Quatorze verdächtig und vierzig Jahre später nicht mehr aufzuhalten war, als sie alles, was ihr in die Quere kam, einfach hinwegfegte – mitsamt der Philosophen."

related:

- Pamphletisten als Blogger
- Die Leser als Redakteure

Thema: Bloggen [alle Texte zum Thema]

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Pamphlet – "Fackel" – Blog

oder: Die Rückkehr des Autors im Internet

Es gibt Leichenreden, die dauern offenbar besonders lange. Eine davon ist die vom Tod des Autors, die in der Literaturwissenschaft über Jahrzehnte hinweg immer wieder aufs Neue zelebriert wurde (oftmals auch nur aus dem Grund, da Autoren wie Barthes und Co. mit einiger Zeitverzögerung im deutschsprachigen Raum ankamen). Ende der 90er Jahre sollte sich aber dann doch herausstellen, dass Todgesagte länger leben. Während sich Philologen allmählich mit dem Fortwirken des Prinzips Autorschaft zu versöhnen begannen, beschworen "Medientheoretiker" im Zuge der Entdeckung des World-Wide-Web einen globalen Text, in den sie all ihre theoretischen Träume hineinwuchteten: Der Hypertext sollte die große Koppelungsinstanz zwischen allen im Web zirkulierenden Texten sein. "Wichtig werden Erfahrungen von Präsenz und Beschleunigung im Umgang mit den chaotischen Gestalten der Hyperlinks. Der netuser bekommt eine neue, weithin antihermeneutische und rhetorisch geprägte Einstellung zu den Textoberflächen als Manipulationsflächen für Hypertextoperationen sowie zur Textmaterialität als beliebig transformierbarer Virtualität. Hypertexte erscheinen immer wie Ausschnitte aus einem Kontinuum. Sie haben keinen Anfang und kein Ende im traditionellen Sinne", umreißt etwa Siegfried J. Schmidt einen beinahe futuristisch anmutenden Traum einer "Medienepistemologie" (so sein eigener Anspruch) der Neuen Medien. (Vgl. dazu: science.orf.at: Das Alte in den Neuen Medien)

In Summe aller Anwendungen und von der Höhe der Abstraktion auf den Medienalltag hinuntergeblickt mag ja das Internet ein solch globaler Hypertext sein – mit Suchmaschinen vielleicht als semantisches Scharnier zwischen den (Anwender-)Kulturen. Doch auch im Internet blüht in den vergangenen Jahren, was so oft begraben wurde: das Phänomen Autorschaft. Eben dort, wo ein Übermaß an Texten, an Kommunikation zirkuliert, sind Aufmerksamkeitsfilter um so entscheidender, mit denen sich die Überfülle an Redundanz des Web bewältigen lässt. Gerade in den letzten Jahren konnte beobachtet werden, wie sich Öffentlichkeit(en) in einem neuen Medium bilden und welche Faktoren hier wirksam sind.

Auffällig ist, dass das Entstehen von Öffentlichkeit im Internet in den letzten zwei bis drei Jahren ganz stark mit dem System von Autorschaft verbunden ist - freilich mit einer Form von Autorschaft, die weniger an reale Personen gebunden werden muss, als man das aus anderen Diskurs- und Medienzusammenhängen gewohnt ist. „Autor“, das ist im Web oft nicht mehr als eine bestimmte Trademark, die Texte im Netz unter ihrem Namen versammelt. Oft ist es eine virtuelle persona, die bestimmte Texte an sich bindet, manchmal ist es aber auch ein klar definierter, realer Autor. Die erfolgreiche Verbreitung von Weblogs (verbunden mit einer Distribution von Software, die jeden Laien zum Medienmacher im Internet prädestiniert) mag zu Beginn des 21. Jahrhunderts einen Strukturwandel von Medienöffentlichkeit anzeigen, in dem das Prinzip von Autorschaft entscheidenden Anteil bei der Bildung von Publizität hat. Gezeigt werden kann, wie sehr heutige Formen des Diskurses in den so genannten ‚Neuen Medien’ anknüpfen an Diskursmuster, die sich im 18. Jahrhundert gebildet haben. Damals wie heute musste ein bestimmter öffentlicher Raum erst erschlossen werden, musste man dezidiert gegen andere mediale Diskurse Position beziehen. In anderen Worten: Die Stellung des Weblogs in der heutigen Medienöffentlichkeit ist mit dem Pamphlet des 18. Jahrhunderts durchaus zu vergleichen. Beide Diskursformen mussten sich ihre Durchschlagskraft erst gegen ein etabliertes politisches wie intellektuelles Feld erkämpfen. Dabei zeigt sich: Wo Pamphlet und Blog größere Foren an Öffentlichkeit erzeugten, hatte der Diskurs eine stark ethische Schlagseite. Blickt man von den Weblogs historisch zurück, so schließen sie, bei aller Innovation an bestimmte Vorbilder an. Neben der Pamphlet-Kultur des 18. Jahrhunderts wären in diesem Zusammenhang Projekte wie die „Fackel“ von Karl Kraus zu nennen. Denn auch hier schrieb ein Autor mit einem Konglomerat an Texten gegen einen etablierten Mediendiskurs an und schuf damit eine neue Teil-Öffentlichkeit im Wiener Fin de siècle. Überspitzt könnte man sagen: Würde Karl Kraus heute leben, würde er wahrscheinlich keine Zeitschrift im Print-Format herausgeben, sondern ein Weblog betreiben.

Related: beta: Blogger des 18. Jahrhunderts

...und das Forum zur Story

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